Die Aggregations-, Integrations- und Filterfunktion der Hochschulleitung

 
Prof. Dr. Peter-André Alt,
Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, geht in seinem Beitrag der Frage nach: Sind die Beziehungen zwischen Hochschulleitungen, Hochschulräten und Politik durch Freundschaft, Komplementarität oder Antagonismus geprägt?

Foto: HRK/David Ausserhofer

 
Die drei Akteure
Hochschulleitungen, Hochschulräte und Politik verfolgen zweifellos einen gemeinsamen Zweck – sie möchten das Beste für die Entwicklung der Hochschule erreichen. Nun bedeutet das aber keineswegs, dass die konkreten Zielsetzungen in den jeweiligen Perspektiven inhaltlich übereinstimmen müssen. Denn Grundwerte und Indikatoren wie Autonomie, Finanzierung, Wettbewerb und Kooperation werden von ihnen unterschiedlich definiert und gewichtet.

Weil das so ist, müssen Differenzen produktiv gemacht werden. Dazu gehört, dass Hochschulleitungen, Hochschulräte und politische Akteure in transparenten und verlässlichen Verfahren ihre divergierenden Vorstellungen darüber, was das Beste für die Hochschule sein kann und wie es zu erreichen wäre, in einen auf gemeinsame strategische Entscheidungen zulaufenden Austausch bringen müssen. Dabei ist natürlich zu beachten, dass Hochschulleitungen, Hochschulräte und politische Akteure, nicht zuletzt aber auch der Senat der Hochschule als Mitgliedergremium, mit je unterschiedlichen Aufgaben- und Kompetenzkatalogen versehen sind. Zwar gibt es in den Landeshochschulgesetzen sehr unterschiedliche Kompetenzregelungen für die drei Akteure, die Hochschulleitungen befinden sich dessen ungeachtet aber immer in einer Sandwich‐Position, denn sie interagieren mit mehreren Partnern: mit dem Ministerium, dem Hochschulrat und der – in sich wieder heterogenen – Hochschule. Gemeinsame Stellungnahmen von Hochschulrat und Hochschulleitung sind vor diesem Hintergrund denkbar, aber schwierig, da von der Konzeption der Hochschulräte gerade ein anderer Blickwinkel als der der Hochschulleitungen erforderlich ist. Stellungnahmen könnten sich also vor allem auf Missstände in der Politik richten.

Die Hochschulleitung ist in ihrem strategischen Handeln auf die Unterstützung aller Akteure angewiesen. Zugleich muss sie die unterschiedlichen Interessen dieser Akteure im Blick haben. Was bleibt der Hochschulleitung übrig, um eigene Handlungsstrategien maßgeblich zu verfolgen? Sie muss zum einen jeder Seite deutlich machen, dass sie die jeweilige Interessenlage zwar einbezieht, dabei aber eigene strategische Zielvorstellungen und Maßnahmen der Umsetzung ihrerseits vor Augen behalten, transparent machen und eine Interessenabwägung vornehmen. Zum anderen ist es Teil ihrer Rolle als „buffer institution“, dem für die Rahmensetzung strategischer Entwicklung zuständigen Ministerium gerade nicht einen vollständigen Einblick in die Absichten der Hochschulangehörigen zu geben und umgekehrt.

Die Hochschulleitung erhält somit im Zusammenspiel der Steuerungsakteure einer Hochschule eine Aggregations-, Integrations- und Filterfunktion, die mit Bezug auf die Rolle der Hochschulräte die Frage nach einem zweckmäßigen Informationsfluss in den Fokus rückt. Denn für die externen Mitglieder eines Hochschulrats gilt: Sie sind selbst nicht (mehr) Hochschulangehörige und haben deshalb einen wesentlich veränderten Informationsbedarf gegenüber Steuerungsakteuren, die selbst an den Diskursen innerhalb und zwischen den Organisationsebenen einer Hochschule teilnehmen und diese nicht selten auch formen. Damit werden Umfang, Granulationsgrad und Wertneutralität der für die externen Hochschulratsmitglieder aufbereiteten Informationen zum Politikum. Eine wesentliche Anforderung an jene Mitglieder des Hochschulrats ist dabei, in regelmäßigen Abständen den Stand der Diskurse über strategische Entwicklungsoptionen für die Hochschule neben den Briefings für die anberaumten Sitzungen selbst zu erheben: durch Begehungen, Besuche oder die Teilnahme an Gremiensitzungen der Fakultäts- bzw. Fachbereichsebene.

Soll sich eine Hochschule zielgerichtet auf einem gemeinsam getragenen Kurs entwickeln, so ist die Hochschulleitung und in letzter Konsequenz die Hochschule als Sozialsystem insgesamt auf die konstruktive Mitarbeit aller Steuerungsakteure angewiesen. Man mag das zunächst als Nachteil der Hochschule gegenüber mit hierarchischen Durchgriffsrechten, Ziel- und Leistungsvorgaben oder stark ausdifferenzierten Karrierewegen steuernden Wirtschaftsunternehmen betrachten. Die Hochschule wirkt in diesem Vergleich schwerfälliger, wenn nicht gar unsteuerbar.

Als staatsferne staatliche Einrichtung, die gleichzeitig autonom und demokratisch, möglichst zielgerichtet und effizient handeln soll, muss sie einen wachsenden Pflichtenkanon erfüllen, der schon lange nicht mehr nur aus Lehre und Forschung besteht. Diese komplexe Institution ist schwer zu organisieren, und dennoch beweisen die Hochschulen jeden Tag, dass die effiziente und zugleich freiheitssichernde Wahrnehmung ihrer Missionen gelingen kann. Und es ist zu beachten, dass die Handlungsbeschränkungen, die sich aus dem Zusammenwirken der staatlichen Rahmensetzung, der durch Wahl legitimierten Hochschulleitungen und Hochschulräte und der akademischen Selbstverwaltung ergeben, der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung, denen Hochschulen in ihren vielfältigen Aufgabenkreisen in Lehre, Forschung, Transfer, Kultur und kommunaler Entwicklung zukommen, gerecht zu werden helfen.

Der Soziologe Wolfgang Streeck hat in diesem Zusammenhang von "beneficial constraints" gesprochen; die Handlungsmöglichkeiten der zentralen Akteure sind gegenüber einer rein rationalen, an Effizienz und Effektivität ausgerichteten Steuerungsperspektive beschränkt, wodurch aber Vorteile der Transparenz und gesellschaftlichen Rückbindung für die Organisation und für den Organisationzweck entstehen.