​So fahren Hochschulleitung und Hochschulrat ihre Zusammenarbeit garantiert an die Wand

Frank Ziegele & Ulrich Müller

Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, und Ulrich Müller, Leiter politische Analysen im CHE Centrum für Hochschulentwicklung, liefern hier eine (nicht ganz ernst gemeinte) Anleitung zur Worst Practice.

Fotos: CHE (li.)/David Ausserhofer

 
Die Hochschulgesetze aller Bundesländer mit Ausnahme Bremens sehen seit Jahren Hochschulräte (oder Kuratorien, Stiftungsräte, Universitätsräte – von den unterschiedlichen Detailregelungen in den Ländergesetzen wird hier abstrahiert) vor. Der Hochschulrat ist damit längst etablierter Bestandteil der Hochschulgovernance.

Ob ein Hochschulrat jedoch Nutzen stiftet oder eher Schaden anrichtet, hängt von der konkreten Zusammenarbeit vor Ort ab. Hochschulräte können Hochschulleitungen nach innen und außen unterstützen, sie können ein konstruktiv-kritischer Impulsgeber sein. Sie können aber auch durch mangelndes Verständnis für ihre Rolle oder mangelndes Wissen um den wissenschaftlichen Kontext nerven und die Arbeit der Hochschulleitung behindern.

Hauptbezugspunkt eines Hochschulrates ist die Hochschulleitung. Wie können diese beiden Akteure sicherstellen, dass die Zusammenarbeit konstruktiv und hilfreich für die Hochschule umgesetzt wird? Im Folgenden laden wir dazu ein, zur Klärung dieser Frage eine etwas ungewöhnliche Perspektive einnehmen: Wie müsste man vorgehen, wenn man die Kooperation garantiert vor die Wand fahren will? Möglicherweise entdecken Sie sogar hier und da Szenen Ihres Hochschulalltags wieder ...
 

Worst Practice für Hochschulleitungen

  • Bequeme Hochschulratsmitglieder auswählen. Das Land hat Ihnen das Modell der Hochschulräte eingebrockt, machen Sie als Hochschulleitung das Beste daraus: Nehmen Sie ruhig auch Menschen, die das Hochschulsystem selbst nicht von innen kennen. Die kann man dann immer wieder ausgiebig über die Besonderheiten der Hochschulkultur belehren und sie reden vor lauter Ahnungslosigkeit nicht allzu viel rein. Oder Sie suchen eher schwache Figuren, denn die halten sich auch zurück. Was auch gut funktioniert: Ganz große Namen – die haben gar keine Zeit, sich tiefer reinzuknien, können aber wenigstens hier und da als Aushängeschild fungieren oder ihren Einfluss für die Hochschule geltend machen. Entscheidend ist, dass der Hochschulrat Sie nicht weiter bei der Arbeit stört. Vorsicht, wenn sich jemand aus dem Hochschulrat als „kritischer Freund“ bezeichnet – da sind langwierige, strategiebezogene Diskussionen zu befürchten.
     
  • Neue Mitglieder nicht verwöhnen. Wenn neue Mitglieder zum Hochschulrat stoßen, werden die im Lauf der Zeit schon irgendwie reinfinden. Es wäre übertriebener Aufwand, sie mit Grundinformationen (Hochschulspezifika, gesetzliche Regelungen, Steuerungsmodelle, Ansprechpartner, Organigramm, wesentliche bisherige Beschlüsse o.ä.) zu versorgen. Das Meiste steht ohnehin im Internet.
     
  • Senat und Hochschulrat gegeneinander ausspielen. Am besten lassen Sie alle Beteiligten völlig im Unklaren, wie die Rollen und Kompetenzen von Hochschulleitung, Hochschulrat und Senat komplementär gestaltet und ausgefüllt werden könnten. Mit etwas Geschick und Übung kann man Senat und Hochschulrat dann gut gegeneinander ausspielen. Wenn es mit einem der Gremien schwierig wird, dann kann man das andere in Stellung bringen. Bestenfalls neutralisieren sie sich und man hat Ruhe.
     
  • Hochschulratsvorsitze vereinnahmen oder auf Distanz halten. Was den Hochschulratsvorsitz betrifft, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie finden einen „Kumpel“, dann passt zwischen Sie beide kein Blatt Papier; Sie treffen sich auch gerne privat, sind sich immer sofort einig und klären alles auf dem kurzen Dienstweg bei einem Glas Rotwein. Oder Sie bleiben total auf Distanz, verkehren mit ihr/ihm nur auf sehr formalem Wege, dann fällt es leichter, ihr/ihm klarzumachen, sich aus allem rauszuhalten. Wenn er/sie ständig mit Ihnen telefonieren will, lassen Sie sich daher am besten von Ihrem Vorzimmer verleugnen. Ständiger Austausch ist verschwendete Zeit.
     
  • Informationsversorgung kontrollieren. Unterbinden Sie strikt, dass der Hochschulrat mit anderen Hochschulmitgliedern als mit der Leitung redet (etwa mit den Studierenden, dem Personalrat oder dem Senat). Es könnte sonst sein, dass der Hochschulrat Sachen erfährt, die nicht 100%ig mit Ihren Vorstellungen und Bewertungen übereinstimmen. Sie sprechen qua Amt für die gesamte Hochschule, ein inkohärentes Bild von der Hochschule würde sehr schaden. Schalten Sie bei entsprechenden Ideen auf stur, Sie haben den Heimvorteil – Sie haben die Informationsversorgung in der Hand, Sie entscheiden, welche Informationen den Hochschulrat erreichen, Ihre Interpretation der Informationen ist die, die zählt. Sie können selektieren, was den Hochschulrat aus der Hochschule erreicht – und umgekehrt.
     
  • Keine Zahlen und Daten zur Verfügung stellen. Rücken Sie niemals aussagekräftige Daten raus, stellen Sie dem Hochschulrat niemals Kennzahlen, Informationen, Vergleiche, Rankings oder Evaluationen zur Verfügung. Dann müssen Sie diese auch nicht in Endlosdebatten strategisch einordnen und sich Leistungsdefizite vorhalten lassen. Was Hochschulen tun, ist ja eigentlich auch gar nicht messbar. Das sollten vor allem die aus der Wirtschaft stammenden Hochschulratsmitglieder endlich kapieren. Und: Je mehr Hochschulräte erfahren, desto mehr kritische Fragen haben sie. Und man muss letztlich das Risiko ausschließen, dass die Hochschulratsmitglieder den Schwächen der Hochschule auf die Schliche kommen.
     
  • Den Hochschulrat zähmen. Es gibt ein paar Tricks, wie man verhindert, dass der Hochschulrat allzu sehr die wertvolle Arbeit der Hochschulleitung irritiert. Wenn Sie zum Beispiel nicht mit dem Hochschulrat diskutieren wollen, ob Ihr Qualitätsmanagement strategisch sinnvoll gestaltet ist und welche Konsequenzen Evaluationsergebnisse überhaupt haben, gehen Sie einfach kleinteilig die Evaluation jeder Lehrveranstaltung im Einzelnen durch. Das legt den Hochschulrat erst einmal lahm und er verliert rasch die Lust am Thema. Es reicht übrigens völlig, Unterlagen am Vorabend per Mail zu verschicken. Die Mitglieder des Hochschulrats verwenden sowieso nicht mehr als die Zugfahrt zur Vorbereitung. Ganz unangenehme Papiere bringen Sie einfach spontan als Tischvorlage ein. Dass Sie die Agenda bestimmen, ist ja ohnehin klar.
     
  • Keine Ressourcen zur Verfügung stellen. Der/die Hochschulratsvorsitzende hätte gerne administrative Unterstützung? Der/die kann doch wohl seine/ihre Mails selbst schreiben. Die im Hochschulrat sollen sich mal nicht so wichtig nehmen. Man kann denen ja auch nicht alles abnehmen. Und wenn man eine Geschäftsstelle einplant, dann fehlen die dafür nötigen Personalressourcen woanders. Höchstens ihre persönliche Referentin könnte vielleicht den Hochschulrat ein wenig mitbetreuen. Schöner Nebeneffekt: Dann erfahren Sie wenigstens immer auch in Echtzeit, was vor sich geht.  

Worst Practice für Hochschulräte

  • Eigene Interessen offensiv vertreten. Natürlich wurden Sie in den Hochschulrat berufen, weil Sie eine bestimmte Interessengruppe vertreten – Ihre Firma, Ihre Statusgruppe, Ihre Region, Ihr Wirtschaftszweig oder Ihre Gewerkschaft. Lassen Sie sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen im Hochschulrat ein, lassen Sie sich nicht von einem angeblichen "Gesamtinteresse der Hochschule" einlullen. Im Hochschulrat setzen sich die durch, die sich knallhart und vehement für ihre eigenen Interessen einsetzen.
     
  • Rollen-Unklarheit schafft Spielraum. Die Hochschulgesetze lassen die Ausgestaltung der genauen Rolle eines Hochschulrats oft etwas im Ungewissen. Dann soll das wohl so sein. Das verschafft Ihnen zum Beispiel Spielraum, sich im Einzelfall auch mal ins operative Geschäft einzumischen, wenn die Strategien nicht schnell genug vorankommen. Wer kennt schon genau die Grenze zwischen Strategie und ihrer operativen Umsetzung? Vorsicht, wenn Ihre Hochschulleitung zu Beginn der Amtsperiode einen Workshop zur Rollenklärung und zur Vereinbarung von Spielregeln mit dem Hochschulrat machen will: Das ist pure Zeitverschwendung, fahren Sie nicht hin und konzentrieren Sie sich auf die Sitzungen, wo auch wirklich etwas entschieden wird. 
     
  • Offensiv sagen, wie es eigentlich laufen müsste. Gerade, wenn Sie aus der Wirtschaft kommen, gilt: Sie müssen der Hochschule immer wieder auf die Sprünge helfen. Schließlich kennen Sie das aus Aufsichtsräten großer Unternehmen, da steuert man den Vorstand auch mit fünf Kennzahlen. Geben Sie der Hochschule Nachhilfe – und ignorieren Sie das Gerede von der angeblich „ganz anderen Hochschulkultur“, das sind fadenscheinige Ausreden.
     
  • Zur Not selbst aktiv werden. Immer nur kritisch-konstruktive Fragen stellen reicht halt nicht immer –zur Not muss dann halt der Hochschulrat übernehmen und zum Beispiel die Strategie oder den Antrag für die Exzellenzstrategie selbst schreiben, wenn die Hochschulleitung das nicht hinkriegt. Mit der Dekanin, die Sie zufällig privat kennen, lässt sich da doch schnell was entwickeln. Notfalls können Sie Ihre Ideen auch besser durchsetzen, wenn Sie vorab schon mal mit der Lokalzeitung darüber reden.
     
  • Nicht übertreiben mit der Sitzungsteilnahme. Viele Hochschulratssitzungen ziehen sich wie Kaugummi. Es reicht, wenn Sie an jeder zweiten Sitzung teilnehmen. Ist ja schließlich auch nur ehrenamtlich, Ihr Engagement.
     
  • Nicht zu viel Beziehungsarbeit. Manche Vorsitzende pflegen mit der Hochschulleitung einen kontinuierlichen Austausch auf persönlicher Basis – das ist aber völlig überbewertet. Manche Hochschulräte planen sogar informelle Begegnungen ein, beispielsweise ein Essen mit allen Mitgliedern am Vorabend einer Hochschulratssitzung. Ist es das wert? Nach spätestens vier oder acht Jahren (oder wie lange die Amtszeit auch dauert) trennen sich die Wege doch eh wieder. Ach ja: Man sollte die Hochschulleitung auch bei guter Arbeit nicht zu sehr loben. Das steigt den Beteiligten sonst zu Kopfe.
     
  • Heimlich Infos sammeln. Wenn ein Thema Sie interessiert, nehmen Sie einfach Kontakt mit zuständigen Mitarbeitern der Hochschule oder der Verwaltung auf und holen sich die Daten und Informationen. Damit die Hochschulleitung nicht beleidigt ist, machen Sie das am Besten hinter deren Rücken.
     
  • Vorsitz selbstbewusst ausüben. Sie sind nicht umsonst Vorsitzender / Vorsitzende. Sie haben das letzte Wort. Es ist zu aufwändig, immer alle zu Wort kommen zu lassen, immer Kompromisse auszuloten. Verhindern Sie, das andere Hochschulratsmitglieder sich zu Experten entwickeln, etwa für Wirtschafts- und Finanzfragen. Dann läuft am Ende in einem Ausschuss etwas an Ihnen vorbei.
     
  • Aufwand begrenzen und einfach spontan improvisieren. Es gibt Hochschulratsvorsitzende, die die Kommunikation und den Austausch mit der Hochschulleitung total übertreiben. Manche diskutieren zum Beispiel in einem jour fixe aktuelle Themen und besprechen Punkt für Punkt die TOPs der kommenden Sitzung vor. Und man muss doch auch nicht alle Unterlagen gelesen haben. Da kann man doch auch spontan seine Meinung zu äußern. Selbst die Tagesordnung kann man doch auch mittendrin on the run noch ändern, wenn Ihnen ein spannendes Thema einfällt.  

Bevor jetzt jemand diese Tipps wörtlich nimmt und sich am Ende dabei auch noch auf das CHE beruft: Die Anleitung zur Worst Practice ist natürlich nicht ganz ernst gemeint, hat aber einen sehr ernsten Hintergrund. Wenn man die skizzierten Worst-Practice-Ansätze vom Kopf auf die Füße stellt, offenbaren sich zentrale Themen der guten Zusammenarbeit: Rollenklärung, Mitgliederauswahl, Kommunikation, Spielregeln und vertrauensbildende Maßnahmen.

Ein Hochschulrat richtet mehr Schaden als Nutzen an, wenn man ihn unpassend besetzt oder mit den falschen Aufgaben betraut. Zum echten Gewinn für die Hochschulen wird er, wenn seine Rolle sinnvoll definiert ist, wenn kundige und engagierte Externe sich auf ein konstruktiv-kritisches Miteinander mit Hochschulleitung und Senat einlassen, in adäquate Kommunikation investiert wird und wenn die Arbeitsstrukturen adäquat gestaltet sind.
 

Literaturtipps

  • Behm, Britta und Müller, Ulrich: Erfolgsfaktoren für Hochschulräte. In: Meyer-Guckel, Volker; Winde, Mathias und Ziegele, Frank (Hrsg.): Handbuch Hochschulräte – Denkanstöße und Erfolgsfaktoren für die Praxis, Essen, 2010, S. 16-100
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  • Winde, Mathias; Müller, Ulrich (2016): Hochschulräte in Deutschland – nicht unumstritten, aber unentbehrlich, Berlin, Konrad-Adenauer-Stiftung
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  • Winde, Mathias; Müller, Ulrich; Schröder, Eike (2019): Kritische Freunde. Hochschulentwicklung aus der Sicht der Hochschulräte. Essen, Stifterverband/Heinz Nixdorf Stiftung
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  • Winde, Mathias; Müller, Ulrich (2020): Hochschulräte als Teil guter Hochschulgovernance, In: Fuhrmann, M.; Güdler, J.; Kohler, J.; Pohlenz, P.; Schmidt, U. (Hrsg.): Handbuch Qualität in Studium, Lehre und Forschung. Berlin: DUZ Verlags- und Medienhaus GmbH, Ausgabe 72, C 3.24
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  • Ziegele, Frank; Müller, Ulrich (2018): Rechte und Pflichten eines Hochschulrats im Vergleich zum Aufsichtsrat, in: Volker Breithecker, Urte Lickfett, Jens Radde (Hrsg.): Handbuch Hochschulmanagement, Berlin, S. 101-136
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