Gesellschaftliche Transformationsprozesse – Die Rolle der Hochschulen

Verena Blechinger-Talcott (Foto: David Ausserhofer)

 
 
Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott
, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin, teilt die Erfahrungen, die die FU mit ihrem Nachhaltigkeitsmanagement gemacht hat.

Foto: David Ausserhofer

 

Auch wenn die die gegenwärtige Energiekrise, die immer noch nicht bewältigte Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine momentan unsere Aufmerksamkeit voll beanspruchen: Die Herausforderungen des Klimaschutzes und nachhaltiger Entwicklung bleiben drängender denn je. Der aktuelle IPCC-Report weist (wiederholt) auf die Notwendigkeit eines unmittelbaren, konsequenten Handelns hin, um Kipp-Punkte in unseren Klimasystemen zu verhindern.

An der Freien Universität Berlin haben wir diese Dringlichkeit zuletzt mit unserer Klimanotstandserklärung vom Dezember 2019 anerkannt und setzen Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Schwerpunkte für alle Bereiche der Universität – Forschung, Lehre, Verwaltung und Campus.

Wir beschäftigen uns bereits seit über 20 Jahren mit der Frage, wie wir unsere eigene Institution nachhaltiger gestalten können. Ausgehend von einem betrieblichen Energiemanagement über ein zertifiziertes Umweltmanagement ist über die Jahre ein Nachhaltigkeitsmanagement entstanden, das die ganze Universität in ihren verschiedenen Facetten in den Blick nimmt. In dieser Zeit haben wir vielfältige Ziele, Programme und Instrumente im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit umgesetzt. Der Gesamtprozess folgte dabei dem Muster einer schrittweisen Entwicklung, die ihre Dynamik im Wesentlichen aus der operativen Umsetzung der unterschiedlichen Aktivitäten selbst erhielt.
 

Heute sind Nachhaltigkeitsthemen selbstverständlicher Teil von Forschung und Lehre. 42 Prozent der rund 1.800 Forschungsprojekte an unserer Universität – so das Ergebnis unserer Bestandsaufnahme des letzten Jahres – adressierten mindestens ein globales Nachhaltigkeitsziel. Zwölf Prozent tun dies sogar in einer auf nachhaltige Entwicklung fokussierten, interdisziplinären Weise. Bei den über 4.500 Lehrveranstaltungen lag der Anteil nachhaltigkeitsorientierter Seminare und Vorlesungen bei 16 Prozent. Beide Ziffern zeigen, dass Nachhaltigkeitsthemen längst in der Mitte unserer Universität angekommen sind. Aus meiner Sicht ist der strategische Vorteil des Nachhaltigkeitsthemas jedoch nicht nur seine inhaltliche Relevanz, sondern auch die Tatsache, dass es nahezu überall an der Universität auf Interesse und Aufmerksamkeit trifft. Bei kaum einem anderen Thema ergeben sich so breite und vielfältige Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der gesamten Universität. Diese gilt es aufzugreifen und für alle Missionen der Universität – Forschung, Lehre und Transfer – strategisch nutzbar zu machen.

An der Freien Universität haben wir Nachhaltigkeit mittlerweile doppelt auf der Leitungsebene verankert. Für das Nachhaltigkeitsmanagement der Universität ist unsere Kanzlerin zuständig. Für strategische Fragen im Kontext von Nachhaltigkeit und die Verzahnung mit anderen Leitbildern der Universität liegt die Zuständigkeit bei mir. Mit dieser zweifachen Verankerung bringen wir zum Ausdruck, dass nachhaltige Entwicklung sowohl eine Führungs- als auch Integrationsaufgabe ist. 
 

Für die Koordination und Steuerung der Nachhaltigkeitsaufgaben ist an der Freien Universität die Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie zuständig. Seit 2015 ist sie direkt dem Präsidium zugeordnet. Ihre Tätigkeiten umfassen ein breites Spektrum von Aufgaben, unter anderem die Koordination des Energie-, Abfall- und Umweltmanagements und des Kompetenzbereichs Nachhaltige Entwicklung im interdisziplinär angelegten Studienbereich Allgemeine Berufsvorbereitung (ABV). Sie vertritt außerdem die Freie Universität Berlin in mehreren internationalen Universitätsnetzwerken.

Nachhaltigkeitsmanagement bleibt aber trotz der Bündelung unterschiedlicher Aufgaben in der Stabsstelle eine Querschnittsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn möglichst viele Universitätsakteure zusammenarbeiten. Dies ist einer der Gründe, weshalb partizipative Formate, Diskursangebote und Netzwerkaktivitäten innerhalb des Nachhaltigkeitsmanagements einen hohen Stellenwert einnehmen. Ebenso haben wir Nachhaltigkeit als strategisches Ziel in den Leitbildern und Strategiedokumenten der Universität verankert.

Ich hoffe, diese wenigen Informationen vermitteln, dass wir an der Freien Universität voller Überzeugung Nachhaltigkeit und Klimaschutz betreiben. Unsere Entwicklung zeigt zum einen mehrere Anknüpfungspunkte, wie sich dieses Thema an Hochschulen an unterschiedlichen Stellen verankern und entwickeln lässt. Zum anderen wird deutlich, dass ein solcher Prozess auch immer Anpassungen auf der Governance-Seite erfordert.

Ich möchte mit dem Beispiel der Freien Universität allerdings keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit verbinden. Jede Hochschule, ob groß oder klein, sollte hier ihren eigenen Weg finden. Zugleich ist mir wichtig hervorzuheben, dass wir – bei aller berechtigten gegenwärtigen Konzentration auf das Thema Klimaneutralität – die Kerntätigkeit von Universitäten – unsere Aktivitäten in Forschung und Lehre – nicht aus dem Blick verlieren dürfen. In der Zukunft wird es, so glaube ich, verstärkt darauf ankommen, nicht nur über den ökologischen Fußabdruck einer Institution zu reden, sondern die Beiträge und Potentiale in den Mittelpunkt zu rücken, die Forschung und Lehre – quasi als Handabdruck – in sich bergen. Das könnte ein gemeinsames Thema aller Hochschulen und Universitäten sein.