Diversität als Hochschulaufgabe?

 
 

Prof. Dr. Georg Krausch, Präsident der Universität Mainz, über die Förderung von Chancengerechtigkeit ist Teil der sozialen Verantwortung, die Hochschulen übernehmen

Foto: David Ausserhofer

 

Die Bewerbung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) für die Beteiligung am Diversity Audit "Vielfalt gestalten" des Stifterverbandes stieß noch 2014 innerhalb der Universität auf geteiltes Echo. Erfreulicherweise sehen wir hier eine Änderung und stellen fest, dass wir einen wachsenden Anteil unserer Mitglieder – auch Skeptikerinnen und Skeptiker – für das Thema gewinnen können. Dieser Trend lässt sich ähnlich innerhalb der deutschen Hochschullandschaft nachvollziehen, wofür zwei wesentliche Motivlagen entscheidend sind.

  • Zum einen ist die Förderung einer chancengerechten Lehr-, Lern-, Forschungs- und Arbeitskultur sowie eines toleranten, respektvollen, wertschätzenden und reflektierten Umgangs mit Vielfalt schlichtweg Teil der sozialen Verantwortung von Hochschulen. Um ihrer Rolle als Impulsgeberin für die Gesellschaft gerecht zu werden, kommen Hochschulen nicht umhin, Exklusionsmechanismen und Diskriminierungsrisiken sowohl innerhalb als auch außerhalb des eigenen Einflussbereichs zu antizipieren, zu reflektieren und zu reduzieren. Dabei gilt es, die gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber nicht nur aufzugreifen, sondern entscheidend mitzugestalten. So ist es beispielsweise gerade in Krisenzeiten wichtig, einer Spaltung der Gesellschaft und einer Zunahme gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu begegnen und sich als Hochschule entsprechend deutlich zu positionieren. Weiterhin leisten Hochschulen durch die Entwicklung einer diversitätsorientierten Universitätskultur einen Beitrag zur Erreichung von vier der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele, die einen Orientierungsrahmen für eine bessere Zukunft darstellen, dem sich auch eine wachsende Zahl deutscher Wirtschaftsunternehmen anschließt.
     
  • Zum anderen liegt die proaktive Auseinandersetzung von Universitäten mit Diversität in ihrem eigenen Interesse. So gilt es beispielsweise zu hinterfragen, ob und welche Exklusionsmechanismen sich dahingehend auswirken, dass Universitäten geeignete (Studien-)Bewerberinnen und Bewerber entweder gar nicht erst erreichen bzw. sie zu einem Zeitpunkt ausscheiden, zu dem noch keine valide Einschätzung ihrer fachlichen Leistung, Befähigung und Eignung getroffen werden kann. Universitäten sind vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und ihrer internationalen Anschlussfähigkeit gezwungen, diese Problematik zu reflektieren und Lösungsansätze zu entwickeln.
     

Weiterhin bietet die Einbeziehung aller vorhandenen Potenziale für Universitäten die Chance, die Perspektivenvielfalt zu fördern, auf die sie in Forschung und Lehre angewiesen sind, um die Implikationen menschlicher Vielfalt und unterschiedlicher Bedarfe in den unterschiedlichsten Forschungsgebieten tatsächlich abzubilden. Perspektivenvielfalt trägt weiterhin dazu bei, Fehler zu minimieren und sich als Institution zu professionalisieren, zum Beispiel in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Außenkommunikation, in der Veranstaltungsplanung, in der  internationalen Zusammenarbeit. Und zuletzt zahlen ein diversitätsorientiertes Arbeitsumfeld und die Gewährleistung eines chancengerechten, respektvollen und diversitätssensiblen Miteinanders auf eine Verbesserung der Arbeitszufriedenheit und den Erhalt der Leistungsfähigkeit der Mitglieder einer Universität ein.

Dabei ist die Förderung einer diversitätsorientierten und chancengerechten Lehr-, Lern-, Forschungs- und Arbeitskultur alles andere als trivial und kann nur dann gelingen, wenn sie als Querschnittsaufgabe gelebt wird. Das bedeutet die Berücksichtigung und Anerkennung unterschiedlicher Voraussetzung im Rahmen der Gestaltung universitärer Prozesse und Strukturen. Unterstützungsangebote für marginalisierte Personengruppen alleine laufen ins Leere, wenn sie nicht durch einen Kulturwandel begleitet werden und Maßnahmen über die individuelle Ebene hinaus auf der institutionellen, der strukturellen und der Prozessebene ansetzen und schließlich über die Grenzen der Universitäten hinaus wirksam werden. Trotz des eingangs erwähnten positiven Trends besteht nach wie vor ein erhebliches Entwicklungspotenzial.