Gesellschaftlich verantwortliche Hochschulen: Zehn Thesen

 

Ulrich Müller, Leiter politische Analysen am Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh, unternimmt den Versuch, den kollegialen Austauschs beim Forum Hochschulräte im September 2022 in zehn Thesen zusammenzufassen.

Foto: David Ausserhofer

 

Wir können Hochschulen gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen und bearbeiten? Wie können sie einerseits selbst intern nachhaltig, diversitätssensibel und chancengerecht agieren – und andererseits auch nach außen relevante Beiträge liefern zu den großen Herausforderungen der Zeit? Im Folgenden der Versuch, den kollegialen Austauschs beim Forum Hochschulräte im September 2022 in zehn Thesen zusammenzufassen:

  1. Nachhaltigkeit, Diversität und Chancengerechtigkeit sind Themen, um die eine Hochschule nicht mehr herumkommt. Sie gehören zum Pflichtprogramm, weil Akkreditierungsverfahren und wettbewerbliche Förderprogramme in diesen Feldern mittlerweile Mindeststandards voraussetzen – aber vor allem, weil das, was die Gesellschaft bewegt, auch die Hochschulen bewegen muss. Es handelt sich hier nicht um Modethemen, die Politik aus einer Laune heraus setzt, sondern um zukunftsentscheidende Weichenstellungen.
     
  2. Gesellschaftlich relevante Themen bergen für Hochschulen, die weit über den Mindeststandard hinausgehen und einen Schwerpunkt in Forschung, Lehre oder Transfer bilden, profilprägendes Potenzial.
     
  3. Es reicht nicht, die Berücksichtigung gesellschaftlich relevanter Herausforderungen im Leitbild zu verankern – Kernthemen müssen, damit sie Teil der Organisationskultur werden, auch in der Organisationsstruktur verankert und klar personell verortet werden (Stabsstellen, Beauftrage für ...; bei den Top-Themen Verankerung auf Leitungsebene). Das schafft Sichtbarkeit, verdeutlicht die Priorität und klärt die Verantwortlichkeit.
     
  4. Es ist zielführender, Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Chancengerechtigkeit in das, was man ohnehin tut, zu integrieren, als add-on Parallelaktivitäten und Parallelstrukturen aufzubauen.
     
  5. Längst eine Binsenweisheit: Drängende gesellschaftlich relevante Themen lassen sich nur interdisziplinär bearbeiten. Gelingende Kooperation wiederum fußt auf gemeinsamen Schwerpunktsetzungen und Partizipationsmöglichkeiten. Aufgabe der Leitung ist es daher, Anreize zu etablieren für ein "Hineindiffundieren" gesellschaftlich relevanter Themen in die dezentralen Einheiten (Fachbereiche, Fakultäten). Dazu gehört auch das Initiieren eines Gegenstromverfahrens, um Top-down- und Bottom-up-Ansätze zusammenzuführen.
     
  6. Hochschulen tun gut daran, keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Eine Hochschule kann nicht die ganze Welt retten. Gleichwohl lohnt es, sich ambitionierte Ziele zu setzen – eine Hochschule kann viel bewegen und bewirken, wenn sie ihre Stärken einsetzt für die großen Themen und Herausforderungen der Zeit.
     
  7. Gut gestaltete und institutionell klug verankerte Wissenschaftskommunikation hilft einer Hochschule dabei, sich als Teil der Gesellschaft zu verstehen, "den Reichtum der Hochschule zum Strahlen zu bringen" (so die Formulierung von Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin) und einen wechselseitigen Dialog mit anderen Teilen der Gesellschaft zu initiieren, der gegenseitige Befruchtung ermöglicht.
     
  8. Ein Hochschulrat unterstützt "seine" Hochschulen dabei, ihre Verantwortung in der und für die Gesellschaft wahrzunehmen, indem er sie als critical friend begleitet, die richtigen Fragen stellt und immer die Strategieorientierung (Gesamtstrategie, nicht nur isolierte Einzelstrategien!) mitdenkt. Der Hochschulrat ist eben nicht nur dem Wohl der Hochschule verpflichtet, sondern auch ihrem gesellschaftlichen Auftrag. Die operative Umsetzung obliegt allerdings klar der Hochschulleitung.
     
  9. Es empfiehlt sich, die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung kontinuierlich mit Kennzahlen zu monitoren, um Entwicklungen nachvollziehen und anhand von Benchmarks einordnen zu können.
     
  10. In zahlreichen Unternehmen ist der Handlungsdruck, gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen, ungleich größer ist als an Hochschulen. Daher sind Unternehmen vielfach bereits weiter als Hochschulen. Es lohnt sich ein Blick darauf, wie Unternehmen es schaffen, zunehmend nachhaltig, diversitätssensibel und chancengerecht zu agieren. Die Berufung eines kundigen Wirtschaftsvertreters oder einer kundigen Wirtschaftsvertreterin in den Hochschulrat kann eine Möglichkeit sein, diese inspirierende Perspektive einzubeziehen.