Chancengerechtigkeit als Hochschulaufgabe

 
 

Prof. Dr. Miriam O'Shea, Konrektorin der Hochschule Bremerhaven, die ein Zentrum für Chancengerechtigkeit eingerichtet hat – eine Organisationseinheit, die sich darum kümmert, dass individuelle, soziale und kulturelle Vielfalt als Selbstverständlichkeit und als Qualitätsmerkmal verstanden werden.

Foto: David Ausserhofer

 

Die Hochschule Bremerhaven ist eine vergleichsweise kleine Hochschule. Viele Funktionen, insbesondere solche im Sinne von Beauftragten, können dementsprechend nur im Nebenamt übernommen werden. Umso erfreuter sind wir, dass wir angesprochen wurden, über unsere Herangehensweise an Chancengerechtigkeit als Hochschulaufgabe zu berichten.

Es sollen zunächst zwei Grundannahmen vorangestellt werden, die für die Hochschule Bremerhaven zentral sind.

  • Chancengerechtigkeit als 'fair opportunities' auffassen

Der Begriff Chance ist eng an den Begriff des Risikos gebunden. Beide definieren sich als eine Abweichung eines realen von einem erwarteten Wert. Die Chance bezeichnet hierbei die positive Abweichung. Im Sinne einer Abweichung werden dem Begriff Chance Adjektive wie 'unerwartet', 'zufällig' oder 'unvorhersehbar' zugesprochen. 

Der Begriff Opportunity dagegen, hergeleitet aus dem Lateinischen 'ob portum veniens', zielt auf günstige Verhältnisse ab. Daraus ergibt sich, dass wir als Hochschule die Aufgabe haben, Möglichkeiten zu schaffen.

  • Gerechtigkeit im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit auf das Ergebnis, nicht die Handlung beziehen

Faire Möglichkeiten zu schaffen, bedeutet nicht alle gleich zu behandeln; die Berücksichtigung der unterschiedlichen Referenzpunkte (Begabungen, Lebensrealitäten) umfasst viel mehr. Als Hochschule sind die sogenannten 'social assets' zu betrachten, um zu identifizieren, wie die Passgenauigkeit zwischen den Kompetenzen der Studieninteressierten und den Anforderungen der Studienprogramme am besten herzustellen ist. Demnach sind von der Hochschule nicht nur Möglichkeiten zu schaffen, sondern Studierende darin zu unterstützen, Möglichkeiten wahrzunehmen.
 

Um diese Unterstützung strukturell zu verankern, hat die Hochschule Bremerhaven das Zentrum für Chancengerechtigkeit eingerichtet, eine Organisationseinheit hauptamtlich Beschäftigter, die sich darum kümmert, dass individuelle, soziale und kulturelle Vielfalt als Selbstverständlichkeit und als Qualitätsmerkmal verstanden werden. Mit der aktuell angestrebten Diversity-Auditierung soll die Arbeit dieser Organisationseinheit in die gesamte Hochschule integriert werden.

Um Studieninteressierte und solche Personen, die ein Studium für sich bisher noch nicht als Möglichkeit sehen, zu informieren, werden die Studienberatung und die Kontaktstelle Schule-Hochschule von den Bildungs-Buddies und Studienpatinnen und Studienpaten unterstützt, die als Studierende mit einer geringeren Distanz das Konstrukt Studium vermitteln können. Dieser Peer-to-Peer-Ansatz wird auch in Gruppen und Austauschforen zu Themen wie Mental Health, Inklusives Studieren, Neurodiversität, Internationalität und Vereinbarung von Studium und Care Aufgaben verfolgt.

Darüber hinaus wird die Hochschulaufgabe Chancengerechtigkeit strukturell auch in Abläufen und deren Ausgestaltungsmerkmalen verankert. Hierzu zählen selbstverständlich Studierendenbefragungen, aber auch die Konzeption vieler Gremiensitzungen als hochschulöffentliche Veranstaltungen. Auf diese Weise können alle an den Diskussionen teilhaben und so mitwirken.

Im Lehrbereich ist der Hochschule Bremerhaven eine hohe Durchlässigkeit zwischen Studiengängen wichtig (hier am Beispiel des gemeinsamen Grundlagenstudiums im Ingenieurwesen), um die Paßgenauigkeit nicht zwingend bis zur Aufnahme eines Studiums abschließend ermittelt haben zu müssen; neue Lehrkonzepte wie zum Beispiel der Team-Ansatz im Studium GIF (Gründung, Innovation, Führung), aber auch vielfältige didaktische Methoden, die über zahlreiche Weiterbildungsangebote die Lehransätze bereichern, ermöglichen es die Lehre zum Coaching zu entwickeln, um damit individuelle Kompetenzen und Fähigkeiten der Studierenden zu fördern.