Dr. Annette Fugmann-Heesing scheidet im Juni 2023 nach 15 Jahren als Vorsitzende des Hochschulrats der Uni Bielefeld aus. Das Austauschformat Forum Hochschulräte hat sie von Anfang an, also seit 2009, engagiert unterstützt und geprägt. Im Gespräch mit Ulrich Müller (CHE) blickt sie auf besondere Momente ihrer Tätigkeit zurück.
Liebe Frau Dr. Fugmann-Heesing, im Juni 2023 scheiden Sie nach über 15 Jahren als Hochschulratsvorsitzende aus dem Hochschulrat der Universität Bielefeld aus. Als Sie im Mai 2008 ihre Aufgabe als Hochschulratsvorsitzende übernahmen, war der Hochschulrat, gerade mit der Machtfülle, die er in Nordrhein-Westfalen besitzt, durchaus umstritten. Das konkrete Doing musste erst noch entwickelt werden, Skeptiker vom Nutzen eines überwiegend extern besetzten Gremiums überzeugt werden. Hat dieses Governance-Modell inzwischen breite Akzeptanz gefunden?
Ich meine ja. Sicher gibt es immer noch Skeptiker, aber viele haben doch erkannt, dass die Autonomie der Hochschule ohne extern besetzte Hochschulräte nicht denkbar ist. Auch die Furcht vor Hochschulräten aus der Wirtschaft nehme ich heute nicht mehr so wahr wie vor 15 Jahren. In Bielefeld kam damals nur ein Manager in den Hochschulrat, weil die Skepsis bei den Statusgruppen groß war. In der vierten Amtszeit werden im Hochschulrat drei Vorstände von Unternehmen sitzen. Der Senat hat das nicht kritisch gesehen – im Gegenteil. Wir haben eben die Erfahrung gemacht, dass der Blick aus einer anderen Perspektive den Hochschulen helfen kann, sich gut zu organisieren und zielgerichtete Strategien zu entwickeln und umzusetzen.
Als Vorsitzende waren Sie Dienstvorgesetzte des Rektors und Kanzlers – wie zeigte sich das konkret? Rolf-Ernst Breuer, bis 2014 Hochschulratsvorsitzender an der Goethe-Universität Frankfurt, erzählte früher gerne, wie er mit dem Präsidenten der Universität konkrete Zielvereinbarungen schloss und dessen Gehalt an die Zielerreichung koppelte. Haben Sie das auch so gehandhabt?
Ja. Die Hochschulratsvorsitzenden in NRW sind beauftragt, die Vertragsverhandlungen mit Rektorin oder Rektor und Kanzlerin oder Kanzler zu führen. Ich habe mit beiden in regelmäßigen Abständen Zielvereinbarungen getroffen und Leistungszulagen an die Zielerreichung gebunden.
Sie sind ja seit über zwölf Jahren auch Aufsichtsratsmitglied bei der Ruhrkohle AG. Welche Parallelen gibt es zwischen einem Hochschulrat und einem Aufsichtsrat, was unterscheidet die Modelle?
Aufsicht und Rat – das ist beiden Modellen gemeinsam. Dass es keine Befugnis des Kontrollorgans gibt, in das operative Geschäft der Geschäftsführung einzugreifen, ist allerdings manchmal an der Hochschule auch anderen Organen wie zum Beispiel dem Senat schwer zu vermitteln. Ich erlebe jedenfalls auch heute noch Fragen, die kein klares Rollenverständnis erkennen lassen. Der Hochschulrat kann seine Kontrollaufgaben nur wahrnehmen, wenn die Hochschulleitung über Erfolge genauso offen wie über Probleme und Risiken berichtet. Das setzt, wie in jedem Aufsichtsrat, ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis voraus. Dass der Hochschulrat in Bielefeld zur Hälfte mit internen Mitgliedern besetzt ist, ist eine weitere Parallele zumindest zum Aufsichtsrat der Ruhrkohle AG. Ich war immer gegen eine ausschließlich externe Besetzung des Hochschulrats, weil wir für unsere Diskussionen und die strategische Beratung die interne Perspektive kennen müssen. Der zentrale Unterschied zum Aufsichtsrat liegt darin, dass in einer Aktiengesellschaft der Vorstand vom Aufsichtsrat allein bestellt wird, der Hochschulrat aber nur gemeinsam mit dem Senat in der Hochschulwahlversammlung die Hochschulleitung wählen kann. Das ist in einer demokratisch verfassten Hochschule richtig so. Gut ist es ist aber nur, wenn beide Organe ein gemeinsames Verständnis der Erfolgsbedingungen eines Auswahlprozesses entwickeln.
Es gibt in Deutschland 15 verschiedene Hochschulratsmodelle (Bremen hat ja bis heute keinen Hochschulrat). Würden Sie das NRW-Modell, das auf einen starken Hochschulrat setzt, als vorbildhaft bezeichnen? Wo würden Sie sich Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen wünschen?
NRW war Vorreiter und ich hoffe, dass andere Bundesländer diesem Beispiel folgen werden. Wenn sich in der Praxis Fragen stellen, die man vorher so nicht erkannt hat, wird es kleine Korrekturen geben müssen, aber grundsätzlich ist der rechtliche Rahmen gut.
Der Hochschulrat hat ja eine Vielzahl von Kompetenzen – etwa strategische Beratung oder Aufsicht bei Finanzfragen, dazu kommt die Schlüsselrolle bei der Besetzung der Hochschulleitung. Welche Tätigkeiten des Hochschulrats haben Ihnen besonders viel Freude bereitet – und welche waren eher mühsam?
Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass das Verfahren zur Besetzung der Hochschulleitung nicht immer konfliktfrei verläuft und manchmal auch ausgesprochen mühsam sein kann. Ich hätte mir in den vielen Verfahren, die ich in meiner Amtszeit mitgestaltet habe, manches mal einen größeren Konsens zwischen Hochschulrat und Teilen des Senats gewünscht. Dennoch ist es uns immer gelungen, am Ende gute Personalentscheidungen zu treffen. Freude haben mir die vielen strategischen Diskussionen im Hochschulrat gemacht, die intensiven Bemühungen um den Aufbau eines leistungsorientierten Budgetierungsmodells und eines aussagefähigen Berichtswesens, vor allem aber die Begleitung und Kontrolle des Aufbaus einer medizinischen Fakultät.
Hochschulräte sehen sich oft auch als "Brücke zur Gesellschaft". Was soll das heißen?
Die Hochschule ist kein Elfenbeinturm und deshalb muss die Außenperspektive in die Hochschule getragen werden und die Hochschule auch nach außen wirken. Dazu können externe Hochschulratsmitglieder einen wichtigen Beitrag leisten.
Was war in den 15 Jahren als Hochschulratsvorsitzende Ihr größter Erfolg, was die schwierigste Situation?
Es gab viele schwierige Situationen, aber rückblickend war die wohl schwierigste die konstituierende Sitzung des ersten Hochschulrats. Wir mussten uns außerhalb des Universitätshauptgebäudes treffen, weil die Studierenden so heftige Proteste angekündigt hatten, dass der Minister seine angekündigte Teilnahme absagen musste. Und weder Rektorat noch Hochschulrat wussten zu dem Zeitpunkt so genau, was denn auf uns zukam und wie wir diese neue Aufgabe gestalten würden. Deshalb sehe ich es auch als größten Erfolg, dass heute in der Universität nicht nur gesehen, sondern anerkannt wird, welche Aufgabe der Hochschulrat erfüllt.
Würden Sie im Nachhinein irgendetwas ganz anders angehen als Sie es getan haben?
Man lernt in jedem Prozess hinzu und wäre dumm, daraus für die Zukunft keine Schlüsse zu ziehen. Aber grundsätzlich anders würde ich mein Amt nicht ausüben.
Sie waren von Beginn an auch prägender Teil des 2009 installierten Forum Hochschulräte, haben viele Impulse beigesteuert, Ihre Erfahrungen für das "Handbuch Hochschulräte" geteilt und an den Positionspapieren mitgewirkt. Sie haben immer gerne Erfahrungen reflektiert, Lessons Learned herausgearbeitet und den Austausch mit anderen gesucht. Braucht es das Forum weiter oder ist inzwischen aller Notwendige besprochen und geklärt?
Es gibt doch keinen Stillstand. Auch zukünftig werden sich immer wieder neue strategische Fragen und auch solche der Governance stellen. Der Austausch unter den Hochschulräten bleibt deshalb wichtig.
2014 haben sich die Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen Universitäts-Hochschulräte in einer Interessenvertretung, der "Konferenz der Vorsitzenden der Hochschulräte an den Universitäten in NRW" (KVHU) zusammengeschlossen. Dieser Verbund ist einzigartig in Deutschland. Sie haben diesen Kreis als Sprecherin vertreten. Was waren die Ziele des Verbundes – und wurden sie erreicht?
Die KVHU haben wir gebildet, weil wir im Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des Hochschulgesetzes NRW 2014 der Überzeugung waren, dass wir uns nur gemeinsam Gehör im Parlament und Ministerium verschaffen können. Damals ist es uns tatsächlich gelungen, einen Teil unserer Vorstellungen durchzusetzen. Vor der nächsten Novelle 2018, die wir sehr begrüßt haben, gab es ein Gespräch mit der Ministerin, in das wir einige Anregungen aus unserer praktischen Erfahrung eingebracht haben. Die Bedeutung der KVHU erschöpft sich aber nicht in der Kommunikation mit der Politik. Sie ist auch ein Format, in sich die Vorsitzenden austauschen und ihre Problemlösungen koordinieren können.
Ist der Verbund noch aktiv?
Ja, er trifft sich zwei- bis dreimal im Jahr. Ich bin jetzt als Vorsitzende ausgeschieden und Herr Dr. Beutelmann wurde als Sprecher gewählt.
Warum haben Sie nicht auch die HAW in den Verbund integriert?
Die Interessen der HAW und der Universitäten sind nicht in allen Punkten deckungsgleich. Entscheidend war aber, dass die Hochschulräte der HAW sich zum Gründungszeitpunkt der KVHU noch nicht in gleicher Weise organisiert hatten wie die der Universitäten. Sie haben dann unserem Beispiel folgend auch eine Sprecherin gewählt, mit der ich mich abgestimmt habe.
Die KVHU hat 2015 "Grundsätze einer guten Hochschulführung" entwickelt. Was genau sollte damit erreicht werden?
Wie wichtig Compliance-Regeln und deren Einhaltung sind, erleben wir ja gerade. Aber die Grundsätze gehen darüber hinaus. Sie sind eine Art Selbstverpflichtung zu einem klaren Rollenverständnis und der Art der Zusammenarbeit zwischen Ministerium, Hochschulrat und Rektorat.
Da die KVHU machte Hochschulräte auch für die Politik "greifbarer" – man hatte ja dadurch eine konkrete Ansprechpartnerin für alle Hochschulräte des Landes. Wie sah der Kontakt zur Politik aus, wo wurden Sie einbezogen?
Den Kontakt haben eher wir von der KVHU gesucht, zum Beispiel im bereits erwähnten Gesetzgebungsverfahren 2014 oder zum Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen. Es gab aber auch insbesondere nach Wahlen Gespräche mit den Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen. Aber da ist noch Luft nach oben.
Ist das nicht auch problematisch, wenn Hochschulratsvorsitzende in Richtung Politik für Hochschulen sprechen? Ist das nicht Aufgabe der Präsidien bzw. der Landesrektorenkonferenzen? Kann da nicht leicht eine Zweistimmigkeit entstehen?
Die Gefahr besteht, und in die Falle darf man nicht tappen. Deshalb haben wir auch immer darauf geachtet, unsere Interventionen auf die speziellen Kompetenzen des Hochschulrats zu beziehen und uns zum Beispiel im Gesetzgebungsverfahren mit der Landesrektorenkonferenz abgestimmt.
Der lokalen Presse ist zu entnehmen, dass sie im Schnitt zweimal pro Monat an der Universität in Bielefeld vor Ort waren. Was genau haben Sie denn so oft an der Hochschule gemacht? Der Hochschulrat tagt doch nur vier Mal im Jahr!
Die Sitzungen sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt des Aufgabenspektrums. Gefühlt habe ich ständig irgendeine Findungskommission geleitet. Diese Verfahren sind zum Teil sehr zeitaufwändig. Der Finanzausschuss des Hochschulrats hat viermal im Jahr beraten. Es gab regelmäßig Gespräche mit Rektor und Kanzler, aber auch anlassbezogen mit einzelnen Rektoratsmitgliedern. Ich habe mit Statusgruppenvertretern und Beauftragten gesprochen, an einigen Sitzungen des Senats und des Fakultätenrats teilgenommen und natürlich auch Gespräche mit deren Vorsitzenden geführt. Ich bin froh, dass aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Pandemie heute ein Teil der Kommunikation digital erfolgt.
Das ist ein Zeitaufwand, den viele Hochschulräte kaum aufbringen können. Ist die Rolle eines Hochschulrats gerade des/der Vorsitzenden, also vor allem etwas für Pensionärinnen und Pensionäre bzw. Rentnerinnen und Rentner, die dieses Zeitbudget investieren können?
Ich würde jetzt gern mit einem entschiedenen Nein antworten, kann das aber guten Gewissens nicht. Dieses Ehrenamt fordert einen zeitlichen Einsatz, der nur schwer mit dem vollen Engagement in einem anspruchsvollen Beruf außerhalb der Hochschule zu vereinbaren ist. Aber ganz sicher gibt es auch Berufe und Umstände, unter denen das möglich ist.
Wenn eine vielbeschäftigte Führungspersönlichkeit aus Wirtschaft und Politik, aus einer NGO oder aus der Wissenschaft Sie fragt: "Ich wurde gebeten, im Hochschulrat der Hochschule XY mitzuarbeiten – lohnt der Aufwand? Soll ich zusagen?" Was antworten Sie ihr?
Eine so spannende und inspirierende Aufgabe weist man nur zurück, wenn man die dafür erforderliche Zeit nicht aufbringen kann.
Sie haben jetzt deutlich mehr Freizeit. Wie nutzen Sie die gewonnenen Freiräume?
Ich freue mich auf mehr Zeit mit meinem kleinen Enkel – und mein großer Garten wird im nächsten Jahr bestimmt viel gepflegter sein als bisher. Ganz sicher werden aber auch neue Aufgaben auf mich zukommen.
Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute!