Dr. Gerd Leipold, ehemaliger Geschäftsleiter von Greenpeace International, Leiter der internationalen Initiative "Climate Transparency" und seit 2015 Vorsitzender des Hochschulrates der Hochschule Biberach (University of Applied Sciences), stellt ein Praxisbeispiel aus persönlicher Erfahrung vor, wie Hochschulrat und Hochschulleitung gut kooperieren.
Foto: Marcel Schwickerath
Im Herbst 2015 wurde ich in den Hochschulrat der Hochschule Biberach berufen und gleich zum Vorsitzenden des Hochschulrates gewählt. Biberach ist eine Kleinstadt in Baden-Württemberg, liegt zwischen Ulm und dem Bodensee, ist der Geburtsort von Christoph Martin Wieland, und die St. Martinskirche wird seit 1548 gemeinsam von Protestanten und Katholiken benutzt. In Biberach und Umgebung gibt es eine ganze Reihe von erfolgreichen mittelständischen Unternehmen, darunter Liebherr und Boehringer Ingelheim. Die Hochschule Biberach, hervorgegangen aus einer Ingenieursschule für Bauwesen, unterrichtet heute rund 2.500 Studierende in den Fächern Architektur, Bau, Betriebswirtschaft, Biotechnologie und Energietechnik.
Für den Hochschulrat ausgewählt wurde ich wohl, weil ich durch ein paar Workshops mit Studierenden in Kontakt mit der Hochschule gekommen war und nach langer Tätigkeit bei Greenpeace in Deutschland und international wieder in meine Heimat in Rot an der Rot im Kreis Biberach zurückgekehrt war. Ich selbst hielt mich für geeignet, weil ich als Internationaler Chef von Greenpeace und früher bei Greenpeace Deutschland Führungserfahrung hatte. Auch habe ich mich beträchtliche Zeit in der akademischen Welt bewegt – ich habe meine Diplom- und meine Doktorarbeit an Max-Planck-Instituten geschrieben.
Als ich mich mit der Aufgabe des Hochschulratsvorsitzenden vertraut machte, erlebte ich einige Überraschungen. Schnell wurde mir klar, dass der Rektor einer Hochschule – ich benutzte hier das Wort Rektor, weil ich in meiner Amtszeit nur mit Männern als Rektoren zusammengearbeitet habe – zwar vor großen Aufgaben steht und mit hoher Verantwortung betraut ist, dabei aber nur eng begrenzte Autorität hat. Inhaltliches Weisungsrecht, Budgethoheit und Personalverantwortung, wie man sie aus den meisten anderen Bereichen kennt, liegen bei anderen, und damit fehlen wesentliche Instrumente, um strategisch zu gestalten. (Das ist nicht unbedingt als Kritik gemeint, man kann ja auch durchaus das Argument führen, dass die wissenschaftliche Freiheit und daraus resultierende Vielfalt für die Gesellschaft wertvoller ist als eine hierarchische Steuerung von Wissenschaft und Lehre.)
Als ich das Hochschulgesetz des Landes Baden-Württemberg zu Rate zog, wuchs meine Verwunderung. Dort heißt es, der Hochschulrat übernehme Verantwortung in strategischer Hinsicht und beaufsichtige die Geschäftsführung des Rektorats. Das Gesetz schweigt sich aber darüber aus, aus welcher Perspektive der Hochschulrat strategische Verantwortung übernehmen soll. Ist er, wie etwa ein Aufsichtsrat bei Unternehmen, für das Eigeninteresse der Hochschule zuständig, soll er die Interessen der Region vertreten oder gar als eine Art institutionalisierter Bund der Steuerzahler darauf achten, dass öffentliche Gelder möglichst sparsam verwendet werden sollen? Je nachdem, welche Rolle man hat, würde man sich ja auch anders verhalten müssen. Und das Gesetz schweigt auch darüber, wie denn die Geschäftsführung zu beaufsichtigen sei. Die dafür üblichen Instrumente der Aufsicht, nämlich Zielsetzung, Evaluation und Beurteilung, stehen dem Hochschulrat zumindest explizit nicht zu. Wenn man sich mit der Entstehungsgeschichte des Hochschulgesetzes beschäftigt, lernt man schnell, dass das Gesetz ein politischer Kompromiss ist. Einerseits gab es die Kräfte, die die Hochschule wie ein Unternehmen verstehen wollten – und dementsprechend den Hochschulrat ähnlich wie den Aufsichtsrat eines Unternehmens verstehen wollten – und auf der anderen Seite die Kräfte, die für die Hochschule die weitgehende Selbstverwaltung wollten. Dieser Kompromiss zwischen zwei ziemlich gegensätzlichen Positionen zieht sich durch das ganze Gesetz. Auch hier geht es nicht darum, dies zu kritisieren oder für falsch zu deklarieren, denn Kompromisslösungen sind oft Teil des demokratischen Prozesses und ein Ausdruck von unterschiedlichen Lösungsansätzen.
Diese Unschärfe bei Rollen und Aufgaben übersetzt sich dann in Unklarheit im Verhältnis von Hochschulrat und Rektorat. Man kann auch dies als positiv sehen, weil es dem jeweiligen Hochschulrat und dem jeweiligen Rektorat erlaubt, Rollen und Aufgaben selbst zu definieren. Ob es allerdings der Kontinuität von Führung und der landesweiten Konsistenz dient, ist eher fraglich. Angesichts solcher Unsicherheit bleibt es also einem Hochschulrat und dessen Vorsitzenden frei, die eigene Rolle zu definieren. Für mich bedeutete dies, eine wesentliche Aufgabe darin zu sehen, die durch Gesetz und Praxis schwach ausgeprägte Autorität des Rektorates und besonders die des Rektors zu stärken. Daraus hat einige unmittelbare Konsequenzen.
Zunächst einmal gilt es, ein persönliches Verhältnis aufzubauen. Regelmäßige persönliche Treffen, zumindest vor jeder Sitzung des Hochschulrates, sind ja selbstverständlich. Das ist auch dann eine gute Möglichkeit, Unterstützung auszudrücken. Lob und Anerkennung findet man in Führungspositionen selten, selbst wenn die Mitarbeiter in der Institution durchaus zufrieden sind mit der Amtsführung. Regelmäßig deshalb die Arbeit des Rektors anzuerkennen, und zwar sowohl im direkten, privaten Gespräch als auch öffentlich, solle für einen Hochschulratsvorsitzenden fast selbstverständlich sein.
Natürlich gehört auch die Kritik zur Unterstützung. Aber diese sollte fast ausschließlich im privaten Gespräch passieren. Wird sie öffentlich geäußert, so unterminiert sie die sowieso schon beschränkte Autorität eines Rektors. Das gilt meiner Meinung nach sogar im Hochschulrat selbst, besonders wenn im Hochschulrat wie in Baden-Württemberg auch Hochschulangehörige vertreten und man deshalb nicht mehr von Vertraulichkeit ausgehen kann. Das kreiert eine Herausforderung, denn der Hochschulratsvorsitzende ist natürlich auch dem Gremium selbst verantwortlich, und der Hochschulrat als Ganzes hat das Recht und die Pflicht, die Arbeit des Rektors kritisch zu begleiten.
Die Außenvertretung der Hochschule obliegt natürlich dem Rektor, der Hochschulratsvorsitzende und Mitglieder des Hochschulrates sollten nur auf ausdrücklichen Wunsch des Rektors extern auftreten. Eine Frage, die sich dem Hochschulrat stellt, ist, wie er sich ein Bild über die Hochschule verschaffen kann. Die erste Informationsquelle ist der Rektor und sein Team, auch die Protokolle von Rektorats- und Senatssitzungen können regelmäßig zu Rate gezogen werden. Sehr behutsam und vorsichtig sollten die Kontakte mit Hochschulangehörigen benutzt werden. Allzu leicht kann dann nämlich der Hochschulrat instrumentalisiert und zum Kummerkasten werden. Das wiederum kann der Autorität des Rektors abträglich sein. Gleichzeitig sollte sich der Hochschulrat nicht ausschließlich auf durch das Rektorat gefilterte Informationen verlassen.
Wir haben dieses Dilemma zwischen nötiger Distanz und gleichzeitiger Nähe mit einem jährlichen Feedbackprozess angegangen. Externe Mitglieder des Hochschulrates führten strukturierte Interviews mit Hochschulangehörigen aus allen Bereichen der Hochschule und wichtigen externen Kontakten und trugen ihre Eindrücke zusammen. Der Rektor wurde gleichzeitig gebeten, seine eigene Arbeit schriftlich zu analysieren mit Bezug auf die separat vereinbarten Jahresziele des Rektorats. In einem vertraulichen Gespräch zwischen Rektor und externen Hochschulratsmitgliedern wurden die Ergebnisse und Eindrücke ausgetauscht. Als Hochschulratsvorsitzender verfasste ich eine schriftliche Zusammenfassung für den Rektor, die allerdings kein formales Dokument war, also auch nicht Teil der Personalakte wurde. Natürlich kann man auch andere Methoden der Evaluation außer Einzelinterviews einsetzen, solche sind ja jeder Personalabteilung bekannt.
Dieser Feedbackprozess stellte sich als nützlich heraus. Der Rektor bekam gespiegelt, wie er in der Hochschule wahrgenommen wird, und dies war manchmal durchaus positiver als die Selbsteinschätzung, weil man ja in Führungsposition öfters Kritik als Lob hört. Externe Hochschulratsangehörige erhielten einen besseren und vor allem strukturierteren Einblick in die Hochschule. Der Prozess war auch eine gute Gelegenheit, Kritik in konstruktiver und vertraulicher Manier auszusprechen.
Dieser Feedbackprozess wie auch die Vereinbarung von Jahreszielen ist ein Beispiel dafür, dass neben dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Rektor und Hochschulratsvorsitzendem strukturierte Instrumente wichtig sind, damit der Hochschulrat seine Aufgaben zum Nutzen der Hochschule ausüben kann.