Detaillierte Betrachtung der sinkenden Erstsemesterzahlen – wo ist das
Problem besonders groß?

Marc Hüsch (Foto: David Ausserhofer)

 
Dr. Marc Hüsch, Senior Expert Statistik und Datenvisualisierung beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung, wirft einen detaillierten Blick auf die Zahlen, Statistiken und Tendenzen, der das Thema sinkender Studierendenzahlen konkreter darstellen sowie bestimmte Schlüsse ziehen lässt.
  

Foto: David Ausserhofer

 

Das Statistische Bundesamt veröffentlicht jährlich detaillierte Zahlen zu Studienanfängerinnen und Studienanfängern im ersten Hochschulsemester an deutschen Hochschulen für das jeweilige Wintersemester. In der Gesamtentwicklung gab es in Deutschland vom Wintersemester 1998/99 bis zum Wintersemester 2011/12 zunächst einen sehr steilen Anstieg der Erstsemesterzahlen. Danach folgte eine Phase auf konstant hohem Niveau bis etwa zum Wintersemester 2018/19. Im Zeitraum vom Wintersemester 2019/20 bis zum Wintersemester 2021/22 war dann jedoch wieder ein Rückgang festzustellen. Ein wesentlicher Treiber dafür sind sinkende Geburtenzahlen (insbesondere in Westdeutschland) bis Anfang der 2010er-Jahre. Zuletzt stiegen die Erstsemesterzahlen wieder leicht an, erreichten allerdings nicht mehr das besonders hohe Niveau wie in der Phase zwischen 2011 und 2018.

Für den CHECK – Entwicklung der Studienanfängerinnen und Studienanfänger in Deutschland hat das CHE Centrum für Hochschulentwicklung im April 2023 zunächst die Daten der Phase mit konstant hohem Niveau (Wintersemester 2011/12 bis Wintersemester 2018/19) mit der folgenden Phase des Rückgangs (Wintersemester 2019/20 bis Wintersemester 2021/22) verglichen und hier eine differenzierte Betrachtung nach Hochschultypen, Trägerschaften, Bundesländern, Hochschulorten, Studienbereichen und Fächergruppen vorgenommen. Hinter dem Gesamttrend stecken viele individuelle Entwicklungen:

  1. Besonders hohe absolute Verluste im Vergleich der beiden Zeiträume können für Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in öffentlicher Trägerschaft beobachtet werden. Ein deutlicher Anstieg der Erstsemesterzahlen ist hingegen bei den Hochschulen in privater Trägerschaft zu verzeichnen.
  2. In nahezu allen Bundesländern gibt es, verglichen mit dem vorherigen Zeitraum, geringere Erstsemesterzahlen. Eine Ausnahme stellen Berlin, Hamburg und Thüringen dar. In Thüringen ist dieser Effekt jedoch nur durch den Wechsel des Hochschulsitzes der IU Internationalen Hochschule von Bad Honnef (NRW) nach Erfurt (Thüringen) begründet. Ohne die Ansiedlung der IU wären auch die Erstsemesterzahlen in Thüringen rückläufig.
  3. Deutliche Unterschiede gibt es zwischen den Fächergruppen und Studienbereichen. Besonders hohe Verluste verzeichnet die Fächergruppe der Ingenieur- und Geisteswissenschaften, die Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften kann hingegen zwischen 2019/20 und 2021/22 höhere Erstsemesterzahlen als in der vorherigen Phase aufweisen. Bei den einzelnen Studienbereichen sind besonders hohe Verluste für den Studienbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik zu beobachten, in den Bereichen Sozialwesen und Informatik gibt es hingegen deutliche Zugewinne.

In einem zusätzlichen DatenCHECK hat das CHE Centrum für Hochschulentwicklung im Februar 2024 die weitere Entwicklung in den Wintersemestern 2022/23 und 2023/24 analysiert. Hier ist die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger in Deutschland wieder leicht gestiegen. Da für das Wintersemester 2023/24 zum Zeitpunkt der Analyse noch keine detaillierten Daten vom Statistischen Bundesamt vorlagen, fokussiert sich der DatenCHECK auf die Ergebnisse für das Wintersemester 2022/23. Hier kristallisierten sich folgende Aspekte besonders heraus:

  1. Langfristige Trends bei der Studienwahl setzen sich fort: Die Zahl der Neueinschreibungen im Bereich Informatik ist bis zum Wintersemester 2022/23 nahezu kontinuierlich gestiegen, während die Erstsemesterzahlen im Studienbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik dauerhaft rückläufig sind.
  2. Der leichte Anstieg der Erstsemesterzahlen insgesamt im Wintersemester 2022/23 ist vor allem durch eine höhere Zahl an Studienanfängerinnen und Studienanfänger ohne deutsche Staatsbürgerschaft zu erkennen. Die Zahl der Erstsemester mit einer deutschen Staatsbürgerschaft ist im Vergleich zum vorherigen Semester weiter rückläufig. Einen besonderen Zuwachs gibt es bei Erstsemestern aus dem asiatischen Raum, insbesondere aus Indien.
  3. In einigen Studienbereichen (zum Beispiel Mechatronik oder Elektrotechnik/Elektronik) liegt der Anteil der Erstsemester ohne deutsche Staatsbürgerschaft inzwischen bei über 40 Prozent. Allerdings spielen hier auch Masterstudierende in die Statistik ein, die ihren Bachelor im Ausland erworben haben und sich erstmals an einer deutschen Hochschule eingeschrieben haben.

Abschließend muss festgehalten werden, dass sich die Entwicklung der Erstsemesterzahlen an den Hochschulen und in einzelnen Studienfächern sehr unterschiedlich verhält. Hochschulen sollten deshalb die individuelle Entwicklung je nach Studienfach genau analysieren und entsprechend auch individuelle Rückschlüsse ziehen. Wichtig ist hier auch die Berücksichtigung der Einzugsgebiete der Hochschulen, die häufig regional geprägt sind. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler und zukünftigen Schulabsolventinnen und Schulabsolventen in den Regionen stellt dann einen wichtigen Indikator für eine Prognose der zukünftigen Erstsemesterzahlen dar.