Wissenschaftliche Weiterbildung als Chance zur Bewältigung des strukturellen und demografischen Wandels

 
 
Ulrich Höschle
, der Vorsitzende des Hochschulrats der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, ist mit einem Themenvorschlag auf uns zugekommen, der in einem zukünftigen Forum Hochschulräte aufgegriffen werden könnte. Hier führt er kurz in die Sachlage ein.
 
Foto: privat

Eine Hochschule verabschiedet heute ihre Alumni mit dem Examen in ein langes Berufsleben mit wechselnden Arbeitgebern. Wir sehen gesellschaftlich eine rasante Entwicklung, die auch eine Anpassung der Hochschulen erfordert. Der strukturelle Wandel der Wirtschaft, angetrieben durch digitale Transformation, Globalisierung, ökologische Zwänge und neue Arbeitsformen trifft auf den demografischen Wandel mit älter werdenden Belegschaften, Mangel an qualifizierten Nachwuchs-/Fachkräften sowie dem Rückgang der Studierendenzahlen in vielen Fächern. Beide Trends erhöhen den Bedarf an wissenschaftlicher Weiterbildung signifikant. 

Meine These: Die Hochschulen und ihre Leitungen und wir Hochschulräte tragen gemeinsam Verantwortung für die wissenschaftliche Weiterbildung unserer Alumni bis zum Ruhestand und wir müssen unsere Hochschulen entsprechend umstrukturieren.
 

Wie ist die wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen heute sichtbar?
Wissenschaftliche Weiterbildung wendet sich zuvorderst an hochqualifizierte, berufserfahrene Menschen mit einem Hochschulabschluss innerhalb der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte. Sie ist – aus dem Fokus von Politik, Hochschulrat und Unternehmen – originäre Aufgabe der Hochschulen. Organisatorisch ist sie integrierter Teil der Hochschule oder hat eine eigene Rechtsform (GmbH). Berufsbegleitende Bachelor-, Master- und Kontaktstudiengänge sind meist auf jüngere Berufserfahrene fokussiert. Modulare Zertifikatsprogramme und kurze Seminare (ohne ECTS-Punkte) zielen auf den fachlich-methodischen Update (re- und upskilling) berufserfahrener Menschen jeden Alters. Letztere Formate sind geeignet, die Qualifikation für den strukturellen Wandel zu bewältigen.
 

Wer sind die Kunden der wissenschaftlichen Weiterbildung? 
Wissenschaftliche Weiterbildung zielt auf eine duale Kundenstruktur: Erstens die Alumni der Hochschule, die sich Gedanken um ihre langfristige Beschäftigungsfähigkeit machen. Zweitens die Organisationen (Unternehmen, soziale Organisationen, Verwaltungen), die sich um ihre Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit am Markt sorgen. Beispielhaft dazu zwei Herausforderungen: Sind die Daten der Alumni aktuell und werden sie für Informationen zur wissenschaftlichen Weiterbildung adäquat genutzt? Gelingt das Matching zwischen Angebot an Wissenschaftlicher Weiterbildung und Nachfrage der Organisationen?
 

Was bedeutet wissenschaftliche Weiterbildung für die Zukunft der Hochschulen? 
Die Zahl der Studierenden sinkt demografisch bedingt nachhaltig. Es herrscht daher Wettbewerb zwischen Hochschularten und Hochschulen um diesen kleiner werdenden „Kuchen“. Ohne stärkere wissenschaftliche Weiterbildung wird die (Lehr)kapazität der Hochschule – eine unverzichtbare Ressource für den strukturellen Wandel – beschnitten. Die Ergänzung des hoheitlichen Bildungsauftrags um die zu Forschung, Lehre und Transfer gleichgewichtige wissenschaftliche Weiterbildung könnte die Rahmenbedingungen gravierend verändern. Die Hochschule als möglicher Kooperationspartner eines markterfahrenen öffentlich-rechtlichen oder privatwirtschaftlichen Trainingsinstituts könnte den Erfolg am Weiterbildungsmarkt schneller sichern.
 

Welchen Rahmen für wissenschaftliche Weiterbildung muss die Politik schaffen?
Um den strukturellen und demografischen Wandel zu bewältigen, benötigt wissenschaftliche Weiterbildung neue Rahmenbedingungen der Politik sowie neues Denken und Handeln aller Stakeholder. Hochschulen müssen gleichzeitig dezentral und flächendeckend Qualifizierungsangebote bereitstellen, verbindliche Qualitätsmerkmale entwickeln und diese Angebote für die Alumni und Organisationen transparent machen (Online-Plattform).
 

Baden-Württemberg zum Beispiel hat mit dem Projekt Hochschulweiterbildung@bw begonnen, seine Verantwortung in dieser Hinsicht anzunehmen. Für die beamten-, vergütungs- und hochschulrechtlichen kritischen Rahmenbedingungen (zum Beispiel Einsetzen von Lehrpersonal für wissenschaftliche Weiterbildung) müssen Lösungen geschaffen werden. Das Agieren auf dem wirtschaftlich geprägten Weiterbildungsmarkt braucht tragfähige, flexible und rechtssichere Geschäftsmodelle für die Hochschulen. Last but not least benötigt der schnelle Auf- und Ausbau der wissenschaftlichen Weiterbildung als staatliches Bildungsinstrument eine verlässliche Anschubfinanzierung. Alles zusammen ein gewaltiges Veränderungsprojekt für unseren Lebens- und Arbeitsstandort mit vielen Stakeholdern unter höchstem Zeitdruck.

Wenn Sie das Thema wissenschaftliche Weiterbildung ebenfalls für sehr relevant halten, freuen wir uns, wenn Sie uns Ideen unterbreiten, wie dies thematisch aus Sicht der Hochschulräte, unter Berücksichtigung ihrer Rolle und Zuständigkeit, aufbereitet werden kann.