Positionspapier der Vorsitzenden deutscher Hochschulräte 2012
Deutsche Hochschulen befinden sich in einem tiefgreifenden Prozess der Veränderung. Damit sie die Umwälzungen bewältigen können, brauchen sie stabile Rahmenbedingungen. Je nach politischen Mehrheiten Rahmenbedingungen zyklisch zu verändern, schadet der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung in Forschung und Lehre. Die Autonomie der Hochschulen muss eine der Säulen dieser stabilen Rahmenbedingungen sein.
Seit Jahren begleiten Hochschulräte die deutschen Universitäten und Fachhochschulen in ihrer Entwicklung. Obwohl die einzelnen Bundesländer den Hochschulräten unterschiedliche Befugnisse zugesprochen haben, lässt sich insgesamt von einem durchaus erfolgreichen Organisationsmodell sprechen, das dazu beiträgt, die Hochschullandschaft positiv zu verändern. Aus den Modellen und Praxiserfahrungen der letzten Jahre lassen sich inzwischen erste konkrete Erfolgsfaktoren identifizieren. Diese Erkenntnisse sollten sowohl bei den in einigen Bundesländern angedachten Novellierungen der Landeshochschulgesetze Berücksichtigung finden als auch in die Arbeit der Hochschulratsmitglieder einfließen.
Mit dem vorliegenden Positionspapier nimmt ein Kreis aktiver Hochschulratsvorsitzender, koordiniert von Dr. Annette Fugmann-Heesing (Vorsitzende des Hochschulrats der Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Winfried Schulze (Vorsitzender des Hochschulrats der Universität Paderborn), Stellung zu wesentlichen Problem- und Fragestellungen. Ziel ist es, einerseits gute Praxis zu verstetigen und andererseits wo nötig das Zusammenwirken zwischen Hochschulräten, Hochschulen und Staat zu optimieren.
Die folgende Erklärung stellt die persönliche Position der unterzeichnenden Hochschulratsvorsitzenden dar, berücksichtigt dabei aber die umfangreichen Erfahrungen und Erkenntnisse, die sich aus dem "Forum Hochschulräte", einer von der Heinz Nixdorf Stiftung, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung initiierten Austauschplattform für Hochschulratsmitglieder, ergeben haben.
1. Hochschulräte sind unabdingbare Organe einer autonomen Hochschule. Die Übertragung von Budget- und Personalautonomie sowie Planungs- und ministeriellen Fachaufsichtsfunktionen auf die Hochschulen erfordert ein Kontrollorgan der Hochschule, das nicht mehrheitlich aus Mitgliedern der Hochschule besteht. Mit von Partikularinteressen unabhängigem Blick können Hochschulräte die Eigenverantwortung, Strategieorientierung und Entscheidungsfähigkeit der Hochschulen nach innen wie außen unterstützen. Als Kontrollorgan sind sie erforderlich, um Finanzen und Risiken zu kontrollieren und damit im Ergebnis auch autonome Entscheidungen der Hochschulen zu legitimieren.
Der Erfolg der Hochschulautonomie und der Erfolg autonomer Hochschulen sind also eng verknüpft mit der Existenz, der sinnvollen Konzeption und einer erfolgreichen Arbeit der Hochschulräte.
2. Es hat sich bewährt, die Aufgaben von Hochschulräten erstens in der strategischen Orientierung (also einer Beratung der Hochschulleitung, dem Einfordern einer Strategie und der Überprüfung der konsequenten Umsetzung derselben) und zweitens in der Kontrolle der Hochschule festzusetzen. Diese Aufgaben erfordern einen Hochschulrat mit Entscheidungsbefugnissen, eine rein beratende Konstruktion ist zur Erfüllung dieser zentralen Aufgaben ungeeignet.
Eine Reihe von Kompetenzen sind für diese Ausrichtung eines Hochschulrats unverzichtbar: neben der Mitwirkung bei der Wahl der Hochschulleitung vor allem die Zustimmung zur Strategie- und Entwicklungsplanung einer Hochschule, zum Wirtschaftsplan und zum Jahresabschluss (zur Entlastung der Hochschulleitung), zur mehrjährigen Finanzplanung sowie zum Entwurf der Zielvereinbarungen zwischen Hochschule und Ministerium. Hochschulräte sollten auch im Blick behalten, ob die Hochschule durch geeignete Maßnahmen die Sicherstellung und Verbesserung der Qualität von Forschung, Lehre und Verwaltung verfolgt.
3. Wenn die Rolle des Hochschulrats eine strategische sein soll, dann sollte er möglichst wenige oder keine operativen Kompetenzen haben. Aufgaben des Hochschulrats im operativen Geschäft haben sich in der Praxis als kontraproduktiv erwiesen. Funktionen, die sich auf einer eher kleinteiligen Ebene bewegen, sehr zeitaufwendig sind oder spezielle vertiefte Fachkenntnisse voraussetzen, gehören in das Aufgabenspektrum anderer Organe und nicht in das des ehrenamtlich tätigen Hochschulrats.
Während etwa die allgemeine Berufungspolitik (also etwa die Gestaltung des allgemeinen Berufungsprozesses und in manchen Hochschulen die Stellenfreigaben) durchaus ein Thema des Hochschulrats sein muss, sollten Professorenberufungen und Stellenbesetzungen im Einzelnen von der Hochschulleitung bzw. den zuständigen Hochschulgremien entschieden werden.
Die Dienstherrenfunktion und die damit verbundenen personalrechtlichen Kompetenzen für die Hochschulmitglieder, die nicht hauptberuflich in der Hochschulleitung tätig sind, sollten nicht dem Hochschulrat zugeordnet, sondern durch die Hochschulleitung wahrgenommen werden. Die Rechtsaufsicht sollte beim Staat verbleiben.
4. Hochschulräte bzw. Hochschulratsvorsitzende sollten Vertragsverhandlungen mit der jeweiligen Hochschulleitung führen sowie individuelle Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit ihnen abschließen können.
5. Die Grundfunktionen eines Hochschulrates lassen sich am besten bezogen auf eine einzige Hochschule, d.h. nicht in Form von Landeshochschulräten umsetzen. Hochschulübergreifende Modelle (wie etwa ein Landeshochschulrat) sollten als landespolitische Beratungsgremien auf ihre politikberatende Funktion beschränkt werden und auch von der Bezeichnung her klar von Hochschulräten abgegrenzt werden.
6. Das Konstrukt der doppelten Legitimation der Hochschulleitung, also einer Wahl der Rektor(inn)en und Präsident(inn)en durch Senat und Hochschulrat, hat sich bewährt und ist entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu sichern. Eine gemeinsame Findungskommission von Mitgliedern des Senats und des Hochschulrats ist eine gute Option, um mit möglicherweise auftretenden Konflikten umzugehen.
7. Hochschulräte sollten Rechenschaft über die Schwerpunkte ihrer Arbeit und Ergebnisse ablegen, etwa in Form einer Zwischenbilanz gegenüber der Landesregierung bzw. dem zuständigen Landtagsausschuss.
8. Mitglieder eines Hochschulrats sind alleine der Hochschule und nicht einzelnen Interessen verpflichtet. Statusgruppenrepräsentanz ist nicht zielführend. Gesetzliche Proporzvorgaben führen zwangsläufig zu Rollenkonflikten und Fraktionierungen, die die Debatten im Hochschulrat unnötig politisieren und lähmen. Auftrag aller Hochschulratsmitglieder ist es, die Hochschule als Ganzes mit ihrer persönlichen Expertise bei der Verwirklichung ihres Profils und der Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben zu unterstützen.
Die Zusammensetzung der Mitglieder sollte deshalb ein breites Spektrum von Erfahrungswissen, verkörpert in den einzelnen Hochschulratsmitgliedern, gewährleisten. Neben einem grundlegenden Verständnis für akademische Belange in Forschung und Lehre, das bei allen Mitgliedern gegeben sein sollte, sollten zumindest einzelne Hochschulratsmitglieder über längere Führungserfahrung bzw. solide Kenntnisse in Bilanzkunde und Rechnungslegung verfügen.
9. Hochschulräte sollten doppelt legitimiert sein (durch Staat und Hochschule). Die Hochschule muss dafür in einem transparenten Verfahren ein Vorschlagsrecht besitzen, um eine hohe Identifikation und Passgenauigkeit der Besetzung sicherzustellen. Die Berufung sollte durch den Staat erfolgen, etwa durch das zuständige Wissenschaftsministerium – ein Hochschulrat ist zwar zu Recht Organ der Hochschule, hat aber einerseits Aufgaben des Staates übernommen und vertritt andererseits auch Interessen der Gesellschaft.
10. Die Hochschulgesetze der Länder sollten die Möglichkeit der Abberufung von Hochschulratsmitgliedern aus wichtigem Grund vorsehen. Analog zu dem Verfahren, in dem Hochschulratsmitglieder berufen werden, sollten sie auch wieder abberufen werden können.
11. Als Hochschulräte sind wir der spezifischen Organisationsform Hochschule und deren Kultur verpflichtet. Unsere eigenen Kompetenzen und Erfahrungen reflektieren wir vor diesem Hintergrund.
12. Wir räumen der Arbeit im Hochschulrat die notwendige Priorität ein.
13. Wir wollen vertrauensvoll mit der Hochschulleitung zusammenarbeiten. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den offenen und konstruktiven Dialog mit dem Senat, den Dekan(inn)en, den Studierenden, der Gleichstellungsbeauftragten und den Personalräten zu pflegen.
14. Dem berechtigten Informationsbedürfnis der Hochschulmitglieder wollen wir durch größtmögliche Transparenz entsprechen. Öffentliche Sitzungen dienen diesem Ziel nicht, weil sie eine offene, kontroverse Meinungsaussprache beeinträchtigen könnten und möglicherweise die eigentlichen Entscheidungsprozesse auf informelle Vorabsprachen verlagert würden. Besser ist es, Hochschulratsbeschlüsse hochschulöffentlich zu machen und in größeren Abständen öffentlich über die Schwerpunkte unserer Arbeit und Ergebnisse zu berichten.
15. Hochschulräte sind als Organ der Hochschule dem Wohl der Hochschule und den durch sie zu erfüllenden gesellschaftlichen Aufgaben verpflichtet. Für alle Mitglieder eines Hochschulrates gilt, dass eine zu starke Verschränkung von individuellen und hochschulischen Interessen und Aktivitäten zu vermeiden ist – sie müssen jederzeit frei sein, im Interesse der Hochschule zu entscheiden. Als Hochschulratsmitglieder sprechen wir Befangenheiten proaktiv an und vermeiden jede Art von Loyalitätskonflikten.
Berlin, Januar 2012