Ulf Richter, Kanzler der Universität Siegen, über die Herausforderungen und Ergebnisse des gemeinsamen Projektes der Stadt Siegen und der Universität "Siegen. Wissen verbindet".
Foto: David Ausserhofer
Der Sanierungsstau an der Gebäudesubstanz und die dringende Notwendigkeit der energetischen Sanierung von Hochschulen ist spätestens nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrats und der Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hinlänglich bekannt.
Unabhängig von der baulichen Entwicklung der Hochschulen gibt es in viele Städte aktuell sehr grundlegende Veränderungen. Der Bedarf an Einzelhandelsflächen wird in den nächsten Jahren immer weiter zurückgehen, und es stellt sich die Frage, wie diese Flächen in der Zukunft genutzt werden, denn mit dem Rückgang des Einzelhandels verändert sich auch die Besucherfrequenz in den Innenstädten erheblich. Erst kommt der Leerstand der Ladenlokale, und dann werden die Straßen und Plätze immer leerer. Es gibt unzählige Projekte, mit denen versucht wird, dieser Entwicklung entgegen zu wirken.
Die Universitätsstadt Siegen und die Universität Siegen haben deshalb gemeinsam das Programm "Siegen. Wissen verbindet" entwickelt.
Die Stadt investiert seit mehr als einer Dekade in die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt mit verschiedenen städtebaulichen Programmen. Begonnen hat es mit "Siegen zu neuen Ufern", wo der namensgebende Fluss, die Sieg, in der Innenstadt freigelegt wurde und eine attraktive Stufenanlage, die zum Verweilen einlädt, errichtet wurde. Daran an schloss sich das nächste Projekt an: "Rund um den Siegberg", mit dem massiv in neue innerstädtische Grünanlagen in die Aufenthaltsqualität investiert wurde. Diese Entwicklungen nahm die Universität Siegen zum Anlass, über ihren Standort grundsätzlich nachzudenken.
Begonnen hat alles damit, dass ein spätbarockes Schloss als Landesimmobilie in der Stadtmitte für die Universität zur Verfügung stand. Allein die Tatsache, dass eine Immobilie zur Verfügung steht, die bestenfalls für einen kleinen Teil der Universität ausreichen würde, sollte aber nicht ausreichen, denn schon bald zeigte sich, dass die Innenstadt Siegens noch mehr Potenzial für die Universität hat. Im Rahmen einer intensiven Diskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Stadt und der Universität zeigt sich, dass beide Seiten davon profitieren können, wenn man die Entwicklung der Stadt und der Universität gemeinsam in Angriff nimmt. So ist die Idee von "Siegen. Wissen verbindet" entstanden.
Die Universität Siegen wurde vor mehr als 50 Jahren gegründet und zwar, wie zu dieser Zeit in vielen anderen Städten auch, ganz am Rande der Stadt, und in Siegen kam aufgrund der bewegten Topographie hinzu, dass sie nicht nur weit weg, sondern auch noch auf einem Berg errichtet wurde, was für die verkehrliche Anbindung eine weitere besondere Herausforderung darstellte. Die bauliche Situation ist nach 50 Jahren so, dass eigentlich eine grundlegende Kernsanierung aller Bestandsbauten ansteht. Würde man sukzessive alle Bauten sanieren, würde dies aber sicherlich mehr als 20 Jahre dauern, weil immer nur Teile saniert werden könnten und Interimslösungen für die Aufrechterhaltung des universitären Betriebs geschaffen werden müssen. Die Universität wäre eine dauerhafte Baustelle.
All diese Überlegungen führten dazu, eine sogenannte Zweistandortstrategie zu entwickeln. Gegenstand dieser Strategie ist es, einen Standort am Haardter Berg für die Natur- und Ingenieurwissenschaftliche Fakultät zu sanieren und auszubauen und alle Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften in die Siegner Innenstadt zu verlagern.
Im Jahre 2015/16 ist die erste Fakultät vom Haardter Berg in die Siegener Innenstadt umgezogen. Zwischenzeitlich hat die Universität in eigener Bauherrenschaft viele weitere Projekte angestoßen. So wurde in einem ehemaligen Kaufhaus ein Hörsaal- und Seminarzentrum mit über 1.400 Plätzen errichtet. Auf einer Parkpalette entstand eine neue innerstädtische Mensa, und ein ehemaliges Möbelhaus wird gerade zu einem modernen und attraktiven Student Service Center umgebaut. Weitere Projekte stehen in naher Zukunft an. So soll aus einem ehemaligen Kaufhaus eine neue innerstädtische Bibliothek werden, und aus einer Industriehalle werden moderne Werkstätten für den Fachbereich Architektur.
Eine der größten Anstrengungen war und ist es, ein gemeinsames ein Verkehrskonzept für die Siegener Innenstadt zu entwickeln, das auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingeht, neue Mobilitätsformate ermöglicht und Raum schafft, dass zukünftig mehr als 10.000 Studierende und 800 Beschäftigte ihren Arbeits- und Studienort in der Siegener Innenstadt Platz haben werden.
Bisher konnten alle Herausforderungen gemeistert werden, weil beide Partner, die Stadt und die Universität, von der Idee und ihren Möglichkeiten begeistert sind und beide Seiten sehr partnerschaftlich zusammengewirkt haben und jeder auf den anderen Rücksicht nimmt.